TelekommunikationsüberwachungStart des Gemeinsamen Abhörzentrums verzögert sich abermals

Fünf Bundesländer wollen ihre Telekommunikationsüberwachung in einem gemeinsamen Zentrum bündeln. Seit sechs Jahren tritt das Vorhaben auf der Stelle.

Die Länder hätten sich von dem Geld auch schöne Kunst kaufen können – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jaee Kim

Die Inbetriebnahme eines „Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums“ (GKDZ) zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) wird sich weiter verzögern. Das bestätigt die sächsische Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage, ohne jedoch einen konkreten Termin für den geplanten Start zu nennen.

Im GKDZ mit Sitz in Leipzig und einem Backup in Dresden wollen die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Berlin ihre Abhöraktivitäten zusammenlegen. Für den Betrieb haben die fünf Landesregierungen eine Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet und einen geheimen Staatsvertrag unterzeichnet.

Millionen Euro für Leerbetrieb

Der gemeinsame Vertrag regelt auch die Zahlungen der Länder. Allein Sachsen hat dafür bereits über 17 Millionen Euro ausgegeben, wie aus einer weiteren Drucksache des sächsischen Landtags hervorgeht. Da die Finanzierung anteilig nach dem Königsteiner Schlüssel erfolgt, lassen sich daraus die bisherigen Gesamtkosten für den Leerbetrieb abschätzen: Für Berlin könnten sie ebenso hoch liegen wie für Sachsen, für Brandenburg rund zwei Drittel, für Thüringen und Sachsen-Anhalt könnten sie etwa die Hälfte betragen.

Beim Aufbau des GKDZ wurden die beteiligten Länder von der ESG Elektroniksystem- und Logistik-GmbH beraten, einer Firma, die auch im militärischen Bereich regelmäßig Aufträge des Bundes übernimmt. Über ein inzwischen aufgelöstes „Strategie- und Forschungszentrum“ waren das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz beteiligt.

Als „zentraler Dienstleister“ soll das GKDZ alle Formen der operativen Telekommunikationsüberwachung für Polizeibehörden durchführen. Hierzu gehören neben dem Versand von Stillen SMS zur Ortung von Mobiltelefonen auch klassische Abhörmaßnahmen von Telefon- oder Internetverbindungen. Über einen eigens eingerichteten Server werden mitgeschnittene Daten an die anfordernde Polizeidienststelle ausgeleitet und im GKDZ als Kopie aufgehoben. Laut einer Präsentation des früheren Berliner Datenschutzbeauftragten würden dafür Server mit einer „Speicherfähigkeit im Petabyte-Bereich“ eingekauft.

Ipoque könnte schadensersatzpflichtig werden

Ursprünglich sollte das Zentrum in Leipzig im Jahr 2018 in Betrieb gehen, dieser Termin wurde mehrfach verschoben. Schuld an den aktuellen Verzögerungen trägt nach Aussagen der Landesregierung in Leipzig die Firma Ipoque, die für die TKÜ-Anlage unter Vertrag genommen wurde und zum Münchner Überwachungsdienstleister Rohde und Schwarz gehört.

Ein Jahr nach Auftragserteilung im Jahr 2022 habe Ipoque mitgeteilt, dass die Firma „die geschuldete Software nicht wie vereinbart liefern könne“. Hauptursache seien „Schwierigkeiten bei der Programmierung“ sowie personelle Probleme. „Eine valide Aussage zum Zeitpunkt der Fertigstellung könne nicht getroffen werden“, heißt es in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage.

Auf das Leipziger Unternehmen könnten Schadenersatzforderungen zukommen, berichtete der MDR Anfang April. Das bestätigt nun die sächsische Landesregierung: Das GKDZ habe „rechtliche Schritte zur Minimierung des Schadens auf der Auftraggeberseite eingeleitet“, heißt es verklausuliert, dieser Vorgang sei „noch nicht abgeschlossen“. Zahlungen an Ipoque seien aber ohnehin noch nicht erfolgt.

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8 Ergänzungen

      1. Das Erzgebirge ist eine jener Regionen, die Joachim Gauck meinte, als er „Dunkeldeutschland“ sagte. Dieser Tage wird wieder besonders unversöhnlich über den ländlichen Osten gesprochen. Die Lage dort ist natürlich komplizierter. Das merkt man, wenn man hinzieht.

        Was ein Umzug aufs sächsische Dorf über die Gesellschaft erzählt:

        https://www.rnd.de/politik/allein-unter-sachsen-was-ein-umzug-aufs-saechsische-dorf-ueber-die-gesellschaft-erzaehlt-NVODO5UYVFE65PILF6WYRM3AKU.html

      1. > In Ostberlin galten die Sachsen …

        Nur einfache Gemüter verstehen unter Bezeichnungen wie „Sachsen“ ein homogenes Irgendetwas.
        Da ich gerne lachen möchte, würde es mich freuen, wenn Sie präzisieren könnten, wen oder was sie mit „die Sachsen“ meinen.

        Und seit wann („galten“) hat sich dies geändert?

        1. Gesamtdeutsche unterbelichtet oder einsam und auf den nachdenkseiten ist gerade nichts los?

          Für den gebürtigen Berliner ist erstmal jeder „Sachse“, der sich für sein Ohr so anhört.

          Und die Migrationsdynamik in Berlin-Ost, Hauptstadt der DDR und Sitz der entsprechenden Apparate, unterschied sich signifikant von Berlin-West, wirtschaftlich wie verwaltungsseitig unwichtige Enklave. Darüberhinaus konnte man sich weder so einfach bei einer Hochschule einschreiben, noch durch den Hinzug der Wehrpflicht entziehen.

          Das mit den Besatzungsmächten in Berlin ist schon etwas her, falls Sie das verpasst haben sollten.

          1. „Horch & Guck“ war übrigens in der DDR eine geläufige Bezeichnung für das Ministerium für Staatssicherheit.

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